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»66 KINOS« ist Pflichtprogramm für alle, die noch gerne ins Kino gehen. (Frank Arnold in epd-film)
66 KINOS portraitiert einige von den 66 deutschen Filmtheatern, die Philipp Hartmann 2014/15 im Rahmen einer Kinotournee mit seinem vorherigen Film „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“ besuchte, und lässt dabei vor den Augen des Zuschauers das vielschichtige Bild einer äußerst lebendigen und zugleich in diversen Umbrüchen befindlichen Kinolandschaft entstehen. Trotz vieler Gemeinsamkeiten – alle müssen etwa auf die Konsequenzen der Digitalisierung, auf sich wandelnde Sehgewohnheiten des Publikums oder auf wirtschaftliche Herausforderungen reagieren – zeigt sich, dass jedes Kino seine eigenen und immer stark vom Engagement der Kinobetreiber und -mitarbeiter gezeichneten Wege und Strategien findet, sich zu positionieren.
Die kaleidoskopartige und dramaturgisch klug konstruierte Betrachtung ganz unterschiedlicher individueller Orte, mit ihren jeweiligen Architekturen und alltäglichen Arbeitsabläufen, sowie der Menschen, die hinter diesen Kinos stehen, verdichtet sich zu einem Panorama der deutschen Kinolandschaft in ihrer ganzen Bandbreite – zwischen Filmclubs, kommunalen Kinos, Programmkinos und Multiplex-Palästen (sowie einer Reihe weiterer Orte, wo man miteinander und konzentriert Filme schaut).
Philipp Hartmanns Kinotour ist Aufhänger und nicht Thema dieser Momentaufnahme der deutschen Kinolandschaft. Man bereist diese freilich gemeinsam mit ihm – hörbar hinter der Kamera und spürbar in oft menschlich-sympathischen Begegnungen und Szenen mit den Kinomachern. Kleine liebevolle und bisweilen skurrile Beobachtungen am Wegesrand verorten zudem die Kinos in der Gesellschaft im gegenwärtigen Deutschland. Dies macht aus 66 KINOS auch einen persönlich geprägten Essay, der sich erfrischend von klassischen Talking-Heads-Dokus unterscheidet. Und nicht zuletzt wird in der Begeisterung und der Einsatzfreude der Kinomacher offenkundig: den Tod des Kinos muss man nicht befürchten. (flumenfilm)
Romy Schneider auf der Spur
Für seinen Dokumentarfilm „66 Kinos“ ist der Regisseur Philipp Hartmann durch Deutschland gereist und hat Kinos und ihre Besitzer porträtiert. Eine Liebeserklärung an den immer noch schönsten Ort für Filme.
„Hier ist das Lichtspiel Kino. Wir zeigen heute um 15 Uhr den Film ‚“Dieses schöne Scheißleben'“, flötet der Bamberger Kinobetreiber wie ein Nachrichtensprecher auf seinen Anrufbeantworter. Jeden Tag spricht er sein Programm auf und lässt noch Platz für Nachrichten und Reservierungen. Hinter ihm steht eine Schiefertafel mit Getränkepreisen, vor ihm auf dem Tresen bunte Limonadenflaschen und Strohhalme. Er habe eigentlich Filmkritiker werden wollen, jetzt sei er Kinobesitzer und stolz darauf, in einer kleinen Stadt etwas zu bewegen. Er erzählt von seiner Leidenschaft fürs Kino und wie aus einem Studentenjob ein Beruf wurde.
In seinem Dokumentarfilmessay „66 Kinos“ spricht der Regisseur Philipp Hartmann mit Kinobetreibern aus ganz Deutschland. Er nennt sein Projekt auch eine „Reise durch die deutsche Kinolandschaft“, also durch die Spielstätten, in denen die Filme erst richtig zum Leben erweckt werden. Denn was ist schon ein Film ohne Publikum? Deshalb tingelte Hartmann vor ein paar Jahren mit seinem Vorgängerwerk „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“ durch deutsche Programmkinos. Während dieser Tour entstand der neue Film. Mit einer kleinen Handkamera im Gepäck porträtierte er jedes Kino, in dem er zu Gast war und interviewte die Betreiber.
In dieser „Mise en abyme“, die aus dem Abfilmen einer Kinotour einen neuen Film macht und diesen nun wiederum auf Tour schickt, verdichtet sich einerseits das Wesen des Kinos als kulturtechnisches Stehaufmännchen; aber andererseits auch die Krise, in der sich der Arthousefilm und die Programmkinos befinden. Viele kleine, unabhängig produzierte Filme finden heute gar keinen Verleih mehr und schaffen es nicht ins Kino. Philipp Hartmann stellt sich mit seinem One-Man-Show-Konzept dagegen – er hat nicht nur Regie geführt, sondern den Film auch produziert, im Selbstverleih die Werbetrommel gerührt und ist letztendlich wie ein Schausteller von Stadt zu Stadt gezogen, um den Film persönlich zu präsentieren.
Im Metropolis Kino in Hamburg trifft er sein Schausteller-Alter-Ego, einen Künstler der auf Reisen Fotodaumenkinos erstellt und diese per Live-Videoprojektion als Daumenkino-Kino zeigt und wie ein Stummfilm-Erzähler begleitende Geschichten zum Besten gibt. Im Delphin-Palast in Wolfsburg wohnt Hartmann in der angeschlossenen Kinowohnung, in der schon Romy Schneider übernachtete und Heinz Erhardt zu Gast war. In alten Fotoalben blättert er durch die Bilder der ehemaligen Angestellten. Viele Kinobetreiber zeigen stolz ihre analogen Filmprojektoren, einige durften nur aus Nostalgie bleiben, denn neue Filme werden fast nur noch digital angeliefert. Wo noch analoge Kopien gezeigt werden, ist man stolz auf die filmmuseale Arbeit, die, so eine Betreiberin der Karlsruher Kinemathek, wenig honoriert, also nicht gefördert, wird. Das ist kaum verwunderlich, wenn man sich den stiefmütterlichen Umgang von Bund und Ländern mit dem analogen Filmerbe anschaut.
Zurückgehende Besucherzahlen machen vielen Kinobetreibern zu schaffen. Einige können sich neben einem großen ein kleines Programmkino leisten, viele erzählen, dass sie ihr Etablissement nur durch die angehängte Gastronomie erhalten können. Einer der vier Macher des Münchner Werkstattkinos, die sich als „autonomes Kollektiv von Einzelkämpfern“ sehen, bezeichnet sein Kino als „labour of love“, also als Herzensprojekt. Das verbindet sie alle, denn ihre Augen leuchten, wenn sie nach ihrer Filmsozialisierung gefragt werden. Das Kino als Kulturtechnik ist immer noch der Ort der Wahl dafür. Hartmann nennt bewusst nie die Namen der Betreiber, lediglich das Kino und die Stadt, in der sie sich befinden. Aus den vielen Einzelporträts setzt er ein größeres Bild zusammen. Ein Selbstbildnis des Kinos ist dieser Film geworden, das den Zauber des bewegten Bilds, aber auch den Zustand einer Branche sichtbar und greifbar macht. Gemeinsam mit den Kinobesitzern ergründet er die Zukunftsaussichten der Filmkunst – bisweilen pessimistisch, oft realistisch, aber immer im Bewusstsein dafür, an welchem Zauber sie teilhaben.
(Sofia Glasl, Süddeutsche Zeitung)
Philipp Hartmann made a film, toured the German cinema scene with it and made that into a film too: an overview of an eclectic mix of cinemas all run by cinephiles. Shared love entails shared suffering: every Kino is under threat.
Can something be a hobby if it’s your job? Can something be work if you love it so much? These are the questions a cinema owner asks himself out loud in this documentary. In 66 Kinos, enthusiastic staff members at a range of cinemas answer these rhetorical questions affirmatively. We pass popcorn machines and projection rooms on our way to the screen.
There is a downside. Turnover from food and drinks is crucial for earnings. Should one switch from ‚real‘ 35mm to digital? Should some of the cinema’s halls be reserved for Hollywood blockbusters? And even then, this might not be enough. Will going to the cinema be the same in a decade’s time? Or does its structure need to be fundamentally redefined? It’s a conundrum, but the small entrepreneur’s hope prevails. (International Filmfestival Rotterdam 2017)
Beitrag aus NDR-Kultur 23.10.2017:
Was eine sympathische, narzisstische und mäßig interessante Reise hätte werden können, auf der ein Regisseur seinen vorherigen Film in 66 deutschen Kinos zeigt, ist ein bemerkenswerter und liebevoller Essay geworden – über eine vom Aussterben bedrohte (oder zumindest mitten im Wandel befindliche) Praxis. Dass 66 KINOS in einem schmucklosen alten Kloster beginnt, das in ein Kino verwandelt wurde und in den Ausführungen einer Museums-Kuratorin gipfelt, die über das Verhältnis zwischen Kino und Installation spricht, ist nicht anekdotenhaft: das Kino kann die Zeit einfangen, aber diese, auch umgekehrt, das Kino – dessen Natur sich verändert hat. In jedem Kino und jeder Stadt, die Hartmann besucht, trägt er verschiedene Belege zusammen: Vorführer missen und pflegen ehrfurchtsvoll die 35mm-Materialität, Kinobetreiber kämpfen ums Überleben, Sammler trotzen dem anonymen Markt, der eine Technologie aufzwingt und die Zuschauer unterschiedlicher Altersklassen entscheiden sich, in die Kinos zu gehen oder dies eben nicht zu tun. Angesichts der unaufhaltsamen Überlegenheit der digitalen Ontologie wird nichts so bleiben, wie es war. Und Hartmann bezeugt die letzten Spuren einer Ära, ohne dabei freilich die Apokalypse zu beschwören (letztendlich dreht auch er digital in HD), aber auch nicht, ohne sich immer wieder zu fragen, wie es weitergeht mit dem Kino – dieser sinnlichen und kollektiven Erfahrung. (Roger Koza)
This film could have simply offered the recount of an elderly director’s amusing and narcissistic journey as he shows his latest film in 66 German movie theaters; however, it ends up being a remarkable and kind essay on a practice at risk of extinction (or in an out-and-out mutation process). It is not incidental that 66 KINOS opens in an old, stripped- down abbey turned into a movie theatre and closes with the words of an art curator on the relation between cinema and art installations – while cinema has captured time, time also captured cinema and transformed its very nature. At each cinema and in each city visited by Hartmann, he gathers evidence of it. In face of the advent of an overbearing digital ontology, Hartmann witnesses the last traces of an era without prophesizing the apocalypse – after all, he records in HD – but also without stopping to ask questions about the future of cinema as a collective sensory experience. (Roger Koza)
Lo que podría haber sido un simpático viaje narcisista de escaso interés de un director exhibiendo su propia película precedente en 66 cines de Alemania acaba siendo un notable y amable ensayo sobre una práctica en riesgo de extinción (o en plena mutación). Que 66 Kinos empiece en una vieja y austera abadía convertida en cine y culmine con el testimonio de una curadora de arte especulando sobre la relación entre el cine y la instalación no resulta anecdótico: el cine ha podido atrapar el tiempo pero este también el cine, cuya naturaleza ha sido modificada. En cada cine y ciudad que visita Hartmann acumula diversas evidencias: los proyectoristas extrañan y veneran el 35 mm, los dueños de las salas apenas sobreviven, los coleccionistas resisten mientras el anónimo mercado impone una tecnología y los espectadores, según sus edades, eligen o no ir a una sala. Ante el advenimiento de la prepotente ontología digital nada será lo mismo, y Hartmann atestigua los últimos vestigios de una era sin vaticinar el apocalipsis (después de todo, él registra en HD), pero sin tampoco dejar de preguntarse acerca del destino del cine como experiencia sensible y colectiva. (Roger Koza)
No processo de tentar fazer com que seu longa-metragem anterior (exibido no Olhar de Cinema) conseguisse ser exibido ao longo das distintas regiões da Alemanha, de maneira independente, o cineasta Philipp Hartmann descobriu um universo de pequenas salas e donos de cinema que enfrentam a realidade de uma indústria que cada vez mais preza a uniformização e a automação. Qual o lugar do pequeno e do gesto humano do amor à arte (e ao cinema) nesse mundo? Exibindo um filme, ele acabou realizando o seu seguinte. (Olhar de Cinema, Curitiba)
C’est lorsqu’il réalise son premier long-métrage que Philipp Hartmann se confronte pour la première fois aux dures règles de la distribution cinéma. Aucun distributeur ne veut prendre le risque de distribuer “Time goes by like a roaring lion”, un film-essai pourtant bien reçu dans le réseau des festivals. Hartmann se décide alors à le diffuser lui-même et contacte une longue liste de cinémas en Allemagne. 66 cinémas lui répondent… La tournée de tous ces lieux qui programment son film devient prétexte pour réaliser un road-movie documentaire, “66 Kinos”, où le réalisateur s’interroge sur ce que veut dire gérer une salle de cinéma art et essai aujourd’hui. Les temps sont durs durs, et l’arrivée du numérique n’aura en aucun cas aidé. La caméra se glisse dans l’intimité de ces refuges du 7ème art, qui pour résister au formatage ambiant se réinventent sans cesse. Bienvenus chez les derniers des Mohicans ! (Nova Cinema, Bruxelles)
Vielleicht sieht so ja die Zukunft des Kinos aus oder zumindest ein kleiner Bestandteil davon: Ein Filmemacher dreht einen Film, erledigt danach all die Verleiharbeit selbst, telefoniert alle in Frage kommenden Lichtspieltheater in Deutschland ab, packt danach seinen Film unter den Arm und macht sich auf die im Alleingang organisierte Kinotour.
Philipp Hartmann hat genau dies gemacht mit seinem vor allem im Ausland beachteten und hierzulande bei Festivals weitgehend übersehenen, wundervollen Essayfilm Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe. Das Ergebnis dieser Reise durch die deutsche Kinolandschaft hat er selbst mit der Kamera in einem Dokumentarfilm mit dem Titel 66 Kinos festgehalten. Herausgekommen ist dabei viel weniger ein Tagebuch, sondern eine sehr persönliche Studie, die vieles zu erzählen weiß über den Zustand der Kinolandschaft in Deutschland.
(Standbild aus 66 Kinos; Copyright: flumenfilm 2016)
Die Reise beginnt an einem ganz besonderen Ort: Das Subiaco Kino befindet sich im ehemaligen Speisesaal des Abtes des 900 Jahren alten Klosters in Alpirsbach. Hier wird mit einer Glocke der Beginn jeder Vorstellung eingeläutet. Ein ganz besonderes Gemäuer, in dem von einer Privatinitiative mit viel Leidenschaft Kino in der Provinz gemacht wird. Und genau hier zeigt sich bereits, dass sich Philipp Hartmann nicht nur für die Kinos selbst als Orte interessiert, sondern vor allem auch für die Macher, die sich aus ganz unterschiedlichen Beweggründen dem Zeigen von bewegten und bewegenden Bildern verschrieben haben: Mal sind es private Initiativen, dann wieder mittelständische Unternehmer, die sich wie im Falle der Marke Cineplex unter einem gemeinsamen Dach zusammengeschlossen haben. Mal sind es leidenschaftliche Amateure (im eigentlichen Wortsinne also „Liebende“), woanders hat einer , der früher mal Automechaniker war, einfach die Gunst der Stunde genutzt und ein Lichtspieltheater übernommen. Mal ist es ein Filmclub mit größtmöglicher Autonomie, dann wieder ein großes Haus, das nach strikt marktwirtschaftlichen Kriterien arbeitet. Schnell lernt man bei dieser Reise eines: Die Betreiber und Kinomacher sind mindestens ebenso unterschiedlich wie die Kinos selbst. Was sie eint, ist neben der gleichen Beschäftigung allein die Tatsache, dass sie alle dem Angebot Philipp Hartmanns gefolgt sind, seinen Film zu zeigen und ihn einzuladen. Und die Tatsache, dass sie bereit waren, sich filmen zu lassen und mit ihm zu sprechen.
Dank der sehr natürlichen und ganz und gar unprätentiösen Art des Filmemachers entstehen während der Reise viele kleine und kostbare Momente. obwohl bei den Gesprächen oftmals die Probleme von Kinobetreibern in der heutigen Zeit gesplitteter Aufmerksamkeit im Mittelpunkt stehen, schafft es Philipp Hartmann häufig, die Augen seiner Gesprächspartner zum Leuchten zu bringen: Wenn sie vom Beginn ihrer Leidenschaft für das Kino erzählen oder wie in einem Fall während einer Autofahrt Dinge von sich geben, bei denen man aufhorcht: Bei solch einer Gelegenheit sagt ein Kinobetreiber aus Magdeburg, dass es ihm so vorkäme, als sei er kein Kinomacher, sondern ein Filmretter. Denn wenn er und seine Kollegen nicht dazu bereit wären, die Filme (vor allem die kleineren und künstlerisch anspruchsvolleren) zu zeigen, dann würden sie unbeachtet in der Flut der großen Produktionen untergehen und keinerlei Beachtung finden. Und man merkt in diesem Moment (und in vielen anderen), dass diese Leidenschaft unglaublich herzerwärmend ist.
In 66 Kinos fließen Vergangenheit und Gegenwart der Lichtspieltheater sowie Ausblicke in die Zukunft des Kinos zusammen und formen eine durch und durch sehenswerte Bestandsaufnahme einer geliebten und bedrohten Kulturinstitution, die mehr über den Zustand verrät als so manche aufwendige Studie. Hinter den nackten Zahlen dieser Statistiken macht Philipp Hartmann die Menschen und die Schicksale sichtbar, ihre Leidenschaft, ihre Leistungen und ihre Ängste.
(Joachim Kurz. kino-zeit.de )
DIE BESTEN DOKUMENTARFILME 2017 – auf kino-zeit.de
Platz 5: 66 Kinos – Auf Besuch beim Homo Cinemaensis
So manchen unserer Autoren hat Philipp Hartmanns 66 Kinos so berührt, dass er gleich ein Poem dazu verfassen musste. Doch alle von uns, die das Kino als Ort und Institution lieben, haben mit 66 Kinos einen Film vor sich, der viel über den Zustand der deutschen Kinolandschaft zu sagen hat. Doch besonders ist dieser Film auch aus anderen Gründen. Joachim Kurz schreibt dazu: „Dank der sehr natürlichen und ganz und gar unprätentiösen Art des Filmemachers entstehen während der Reise viele kleine und kostbare Momente. Obwohl bei den Gesprächen oftmals die Probleme von Kinobetreibern in der heutigen Zeit gesplitteter Aufmerksamkeit im Mittelpunkt stehen, schafft es Philipp Hartmann häufig, die Augen seiner Gesprächspartner zum Leuchten zu bringen: Wenn sie vom Beginn ihrer Leidenschaft für das Kino erzählen oder wie in einem Fall während einer Autofahrt Dinge von sich geben, bei denen man aufhorcht: Bei solch einer Gelegenheit sagt ein Kinobetreiber aus Magdeburg, dass es ihm so vorkäme, als sei er kein Kinomacher, sondern ein Filmretter. Denn wenn er und seine Kollegen nicht dazu bereit wären, die Filme (vor allem die kleineren und künstlerisch anspruchsvolleren) zu zeigen, dann würden sie unbeachtet in der Flut der großen Produktionen untergehen und keinerlei Beachtung finden.“
In der Wohnung scheint die Zeit in den 1960er-Jahren stehen geblieben zu sein, mit der Sitzgruppe um das niedrige Tischchen, einer blau-weiß-orange karierten Tischdecke und alten Fotos an den Wänden. In dieser Gästewohnung des Delphin-Palasts in Wolfsburg hat schon Romy Schneider übernachtet. Ein leicht morbides, aber hinlänglich kinotaugliches Detail sind die Bademäntel der ehemaligen Kinobetreiber, die noch immer im Bad hängen. Jetzt nächtigt hier Philipp Hartmann.
Der Hamburger Filmemacher ist mit seinem Film-Essay „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“ (fd 42 639) unterwegs auf Kinotour und hat daraus gleich seinen nächsten Film gemacht.
„66 Kinos“ ist gar nicht so weit entfernt von Hartmanns Essay über die Zeit: Auch hier geht es um Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, allerdings um die des Kinos und der Kinos, die Hartmann porträtiert. Naturgemäß können das nicht alle 66 Spielstätten sein, die der Regisseur auf seiner Tour durch Deutschland besucht hat. Für den Film musste er eine schwierige Auswahl treffen, die sich so offenkundig wie dramaturgisch richtig an Eckpunkten orientiert, etwa dem Sendungsbewusstsein oder der Weitsicht der Betreiber, an der Exotik oder Historie des Ortes, an ihrem Charme, aber auch der Organisationsform sowie den diversen Überlebensstrategien und Programm-Schwerpunkten – und natürlich am großen Bogen, der aus der Vergangenheit in die Zukunft weist.
Persönliche Gründe spielen auch eine Rolle. Der Filmemacher kommentiert aus dem Off und lässt den Film in der Kinemathek in Karlsruhe beginnen, wo er herstammt. Man lernt auch das mit 18 Plätzen kleinste Kino Baden-Württembergs in einem Kloster kennen: das Subiaco in Alpirsbach. Dort stehen Sofas und Sessel im ehemaligen Empfangssaal des Abtes; im Gemeindesaal finden die Kino-Cafés statt, in der Gemeindeküche findet sich ein „Spendentöpfle“.
Viele Kinos spielen noch 35mm-Kopien. Häufig sehen die Programmkino-Macher die Zukunft des Kinos in einem musealen Kontext; hier würden keine Filme „abgespielt“, sondern ausgestellt. Man müsse sich von einer Kosten-Nutzen-Rechnung lösen, respektive einer dementsprechenden Erwartung. Nicht wenige der Kinos werden von der hauseigenen Gastronomie subventioniert. In Bühl konnte sich der Kinobetreiber, ein ehemaliger, auf „amerikanische Schlitten“ spezialisierter KFZ-Mechaniker, nicht von seinem 35mm-Projektor trennen; das hätte ihm „in der Seele wehgetan“. Da steht er nun, der Projektor, ein Dinosaurier, ungenutzt seit 2011. In diesen Momenten atmet „66 Kinos“ ein wenig von der Melancholie in Uli Gaulkes wunderbarem „Comrades in Dreams – Leinwandfieber“ (fd 38 523), einer Liebeserklärung an die aussterbende analoge Projektion.
„66 Kinos“ ist eine Hommage ans Kino, an die Leidenschaft der Kinomacher, für die der Beruf häufig auch Selbstausbeutung bedeutet. Das sei „Labour of Love“, erklärt Bernd Bremer vom Münchner Werkstattkino, der ein Kellerkino mit einem so mitreißenden wie tiefgründigen Programm betreibt, das mitten im durchgentrifizierten Herzen der Stadt überlebt hat und von einem Kollektiv verwaltet wird. Dort entdeckt man während der Filmvorstellung plötzlich den eigenen Nachbarn in der ersten Reihe. „66 Kinos“ ist auch ein Manifest, das ruft: „Geht mit dem Kinoprogramm in der Hand auf die Straße und begebt Euch ins nächste Programmkino. Nicht erst morgen. Jetzt!“
Julia Teichmann, FILMDIENST 21/2017
66 Kinos
Quo vadis, Lichtspielhaus?
Eine These, die Nachdenkpotential entfaltet: DIE ZEIT VERGEHT WIE EIN BRÜLLENDER LÖWE. So hieß Philipp Hartmanns eigenwilliger, erfrischender Essay, welchen er eigeninitiativ in die titelgebenden 66 Kino brachte, vor insgesamt 2657 Zuschauer. Dafür kratzt sich in Hollywood keiner nur am Kopf, Hartmann hingegen reiste fast ein Jahr lang durch Deutschland, interviewte abseits der Vorstellungen die Kinomacher.
Wir starten im kleinsten Saal Baden-Württembergs, 18 Plätze harren sie besetzenden Hintern, zur Vorstellung ruft eine Glocke. In Wiesbaden lehnt eine Dame „locker-lässig“ an der Bühne und bekundet Stolz auf das Geschaffene, während wenig später das Aussterben von Eine-Leinwand-Häusern prophezeit wird. Plötzlich stören also erste Gedankenrisse das bisherige Wohlfühlklima: Ist Kino tatsächlich ein „immerwährender Kampf?“ Hat die Digitalisierung ihre erhofften Versprechen wirklich nicht eingelöst, obwohl man sie auf ähnliche Stufen stellen muß wie den Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm? Zweifellos: Das eingefangene Rattern der 35mm-Projektoren inklusive manchmal abenteuerlicher Vorführmethoden umweht knisternde Magie, da zieht – ungeachtet technischer Qualitätssprünge – DCP klar den Kürzeren. Solche und viele weitere Beobachtungen erlauben sowohl die Gesprächspartner, samt und sonders wahre Originale, als auch kluge Montage des abgelichteten Materials. Da schauen wir hinter fürs Publikum sonst verhüllte Kulissen, erfahren beispielsweise, worum es sich bei einer „Kodak-Mieze“ handelt, lauschen gleichermaßen kritischen Betrachtungen, die meistenteils monetäre Züge tragen: Festanstellung, wo gingst Du einst hin?
Zwischen grinsendem CinemaxX-Bashing und facettenreicher Selbstreflexion, Verweigerung puren Abspiels und wirtschaftlichen Erfordernissen schwingt Wehmut, doch nie Weinerlichkeit. Und dann das Kennenlernen der Chefin vom Cineplex Paderborn, ja, eines Multiplex’! Sie liebt selbstständige Programmierung, ihre Mama, Kirchengesänge. Der schwer sympathischen Enthusiastin zuzuhören, bringt etwas deutlich auf den Punkt. Nämlich, daß einem ums Kino nicht bange sein muß, wenn es Menschen dirigieren, denen Leidenschaft, Know How und unerschütterlicher Wille über alles gehen.
(Frank Blessin in Player, Leipzig)
In einer ganz nahen Galaxis
Philipp Hartmanns schöner Dokumentarfilm „66 Kinos“
Ein Publikumsmagnet wie der heute startende neue „Star Wars“-Film ist nur für einen Teil der Branche Grund zur Freude. Den kleinen Programmkinos nimmt ein solcher Blockbuster Zuschauer weg, denn selbst die treuesten Besucher gönnen sich in diesem Fall ein nostalgisches guilty pleasure, und in Deutschland gehen die Menschen im Schnitt weniger als zweimal ins Kino – im Jahr. Schlechte Zeiten also für Programmkinos bei einem Blockbuster.
Philipp Hartmann gehört nicht zu den Regisseuren, von denen man einen erwarten dürfte. Aber der fünfundvierzigjährige Hamburger macht gute Filme, so etwa vor drei Jahren „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“. Darin begab er sich auf die Suche nach der entschwindenden Zeit und schuf etwas, das er selbst Essayfilm nennt. Dafür fanden sich damals exakt 2657 Zuschauer, und auch die nur, weil Hartmann sein Werk auf einer selbstorganisierten monatelangen Tournee durch ganz Deutschland persönlich vorstellte, in 66 Kinos. Und weil er schon einmal da war, drehte er in jedem davon Gespräche mit den Betreibern, sammelte Eindrücke von deren Leben und montierte daraus seinen nächsten Film, der nun wieder auf die gleiche Weise unter die Leute gebracht wird: Bis März ist Hartmann mit dem neuen Werk unterwegs. Es heißt „66 Kinos“.
Wer es sehen kann, etwa morgen in Wiesbaden oder in den Tagen vor Weihnachten noch in Essen, Wolfsburg, Braunschweig, Osnabrück, Düsseldorf und Nürnberg, der nutze die Gelegenheit, denn der Film ist weit mehr als „nur“ eine impressionistische Liebeserklärung an Kinobegeisterung; er ist auch eine Bestandsaufnahme der sich wandelnden deutschen Filmtheaterszene. Gleich das zweite Kino, das im Film zu sehen ist, die „Blaue Königin“ im badischen Bühl, hat mittlerweile geschlossen und eine der beeindruckendsten Gesprächspartnerinnen von Hartmann, eine Programmmacherin in einem Paderborner Multiplex, ihren Job verloren. Aber die meisten Filmverrückten und ihre zauberhaften Wunderkammern gibt es noch, und es ist allein schon den Besuch des Films wert, zu lernen, wo die tollen Kinos in Alpirsbach oder Magdeburg sind.
Wobei die meisten der 66 besuchten Häuser nur durch Standbilder ihrer Vorführsäle vertreten sind; die erste Schnittfassung von „66 Kinos“ dauerte dreizehn Stunden. Wehen Herzens musste Hartmann auf hundert Minuten kürzen, doch was er herausschnitt, ist unter im Netz zu sehen (www.66kinos.de), und auch dieses Bonusmaterial lohnt sich. Aber den Film auf der Leinwand ersetzt es nicht, zumal nicht die hinreißende Szene, in dem ein kleiner Hund im Kinofoyer einem Aschenbecher hinterherjagt. Großes Kino mit kleinsten Mitteln. Und ein gutes Geschäftsmodell: Die meisten der 66 Kinos haben Hartmann mit seinem neuen Film wieder eingeladen. Wäre doch gelacht, wenn sich dafür nicht mehr als 2567 Besucher fänden. ANDREAS PLATTHAUS, FAZ 14.12.2017
Die Kinotour seines Essayfilms «Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe» durch Deutschland nahm Philipp Hartmann zum Anlass für einen weiteren Film: Mit der Kamera begleitete er von Herbst 2014 bis Frühjahr 2015 die Tour und porträtierte die 66 deutschen Kinos, in denen sein Film gezeigt wurde, sowie deren Betreiber.
Ein wunderbar vielschichtiges Bild der deutschen Kinolandschaft vom kleinen Saal im 500 Jahre alten Kloster in Alpirsbach/Schwarzwald bis zur prunkvollen Schauburg in Karlsruhe und vom Münchner Werkstattkino bis zum Multiplex, in dem Säle auch für Vorlesungen der Universität vermietet werden, ist so entstanden. So vielfältig die Architektur der Kinobauten ist, so unterschiedlich sind auch die Betreiber, doch gemeinsam ist ihnen die Leidenschaft fürs Kino.
Sie sprechen über die Geschichte ihres Kinos ebenso wie über die gerade durchgeführte Digitalisierung und die unsichere Zukunft. Von Empathie getragen ist der Blick Hartmanns. Er lässt die Kinomacher über ihre Probleme sprechen und die mangelnde Förderung des Kinos als Museumsort klagen, macht aber trotz aller Unkenrufe auch Hoffnung, wenn er das neu entstehende Berliner Kinoprojekt Wolf oder neue Möglichkeiten der Filmpräsentation im Rahmen von Installationen vorstellt.
(Walter Gasperi auf kultur-online.net )
Von damals und heute, Nachmittagsvorstellungen für drei Mark und den Unwägbarkeiten der Digitalisierung: Philipp Hartmanns »Reise durch die deutsche Kinolandschaft« ist ein Muss für alle Kinoliebhaber
Da ist die Rede davon, dass die Digitalisierung keinen selbstverständlichen Zugriff auf die Filme ermöglicht, sondern die Kinos immer noch von der Willkür der Verleiher abhängig sind, oder dass die Anzahl der Festangestellten kontinuierlich sinkt. Da gibt es das eher singuläre Werkstattkino in München, bestehend aus einem »autonomen Kollektiv von Einzelkämpfern«, wie es einer von ihnen charakterisiert, aber auch jene, die zwischen Multiplexprogrammen und Arthouse einen Mittelweg suchen (müssen).
Bilanz zu ziehen erlaubt sich Hartmann nur an zwei Stellen, einmal geht es um die Anbindung der Kinos an die Gastronomie, über die knapp die Hälfte der Kinos verfügt und die oft genug die finanzielle Situation stabilisiert. So bleibt es Lars Henrik Gass, dem Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen, überlassen, einmal mehr einen – eher pessimistischen – Ausblick zu liefern. Er glaubt nicht, dass die Digitalisierung den Tod des Kinos aufhalten werde, sieht das Kino der Zukunft zwischen einem »Kino der repräsentativen Zwecke« für Großproduktionen einerseits und eher »multifunktional« agierenden kleinen Kinos andererseits. Dazu passen dann einige der nachfolgenden Kinomacherstatements, die auf die gleichzeitige Verfügbarkeit unterschiedlicher Projektionsformen und variable Kinosäle verweisen. Diese eher nüchternen Ausführungen werden konterkariert durch Aussagen anderer Kinomacher, die ihren Enthusiasmus in den Vordergrund stellen. »Wenn ich den Film nicht zeigen würde, dann wäre er verloren für die Welt«, verkündet der eine programmatisch – »das ist kein schlechter Auftrag.« Ein anderer erinnert sich an seine Sozialisation in genau dem Kino, das er heute leitet, an die Nachmittagsvorführungen für drei Mark Eintritt, von denen er oft mehrere hintereinander besuchte.
So ist der Film auch eine Reise in die Vergangenheit der Kinosozialisation, in der sich Zuschauer mit ihren eigenen Geschichten wiederfinden werden. Gerade die Liebe zum Zelluloid, zur Greifbarkeit des Vorführmaterials, zieht sich wie ein roter Faden durch mehrere Äußerungen. Da findet der Film sogar noch Zeit für einen Exkurs über die Startbänder der Filmrollen mit ihren Bildern von Frauenköpfen, die einer der Kinomacher zu einem Kurzfilm zusammengeschnitten hat. »66 KINOS« ist Pflichtprogramm für alle, die noch gerne ins Kino gehen.
(Frank Arnold in epd-film, 16.10.2017)
Da Philipp Hartmann laget filmen Time Goes by Like a Roaring Lion, tok han den med seg og dro på turné til 66 ulike små kinoer i Tyskland. Samtidig benyttet han anledningen til å dokumentere visningsstedene han besøkte og intervjue menneskene som jobber der. Resultatet er et filmessay, en slags Im Lauf der Zeit anno 2016, som forteller noe om filmens plass i vår egen samtid, om det å være en filmelsker og kinoens rolle før og nå. Det viser seg at det ikke skorter på utfordringer, men det veies opp av gleden over å jobbe med noe man virkelig brenner for. (Norsk Filmiinstitutt)
Die Säle der Erde
Philipp Hartmann tourte mit seinem letzten Film durch 66 Kinos. Die porträtiert er jetzt.
Dafür sind es sehr sympathisch durchgesessene Säle an diesen Destinationen in der deutschen Studiokinolandschaft, von Wiesbaden über Paderborn bis Alpirsbach. Auf ungezwungene Art befragt Hartmann die Betreiber, die Kamera – «die kann auch HD» – hat er dabei locker in der Hand. Sie erzählen ihm vom Wandel, den die Digitalisierung gebracht hat, von der cinephilen Liebhaberei, die kommerziell noch nie viel hergemacht hat, vom steten Kampf, den sie seit Jahrzehnten führen. Es riecht ganz nach Nostalgie auf Vorrat, und vielen abgewetzten Einsaalkinos ist die Vergangenheit auch als Zukunft grad noch gut genug.
Man wird da gleich sehr wehmütig. Es kommt einem einfach alles so vertraut vor, sei es die improvisierte Box-Office-Theke, seien es die liebevoll gemachten Programmhefte. Hier lebt die geschichtsbewusste Welt von Reprise und Double Feature. Sie wurde geboren aus der politischen Gegenkultur, als sich noch nicht jeder Kurator nannte, der einen Kühlschrank auffüllen kann. Philipp Hartmann porträtiert sie beinahe kunstlos, in einem Sudelfilm von hohem Gebrauchswert.
imADVENT, ADVENT – URS SPÖRRIS LIEBESERKLÄRUNG AN PHILIPP HARTMANNS MÄRCHEN VON DEN „66 KINOS“
Es begab sich vor nicht allzu langer Zeit,
Dass die Zeit verging
Wie ein brüllender Löwe.
Ein Film, ein Mann,
auf Kinoreise.
Einmal durchs Land
In die schönsten Säle
der Republik,
66 an der Zahl.
„Verbündete“ hat er gesucht,
Märchenorte hat er gefunden.
Programmkinos, Kommunale
Und auch Multiplexe.
Projektor, Projektor, an der Wand,
Wer ist der schönste im ganzen Land?
Festgemauert in der Erden
Läutet die gusseiserne Glocke
In Alpirsbach zum Filmbeginn.
Im Kloster, mit Couch und Ledersesseln
Wo der Abt einst seinen Besuch empfing.
Im Wolfsburger Delphin-Palast
Befindet sich eine Gästewohnung,
Noch im Urzustand.
„In dem Bett, in dem ich schlafen darf,
lag schon Romy Schneider.
Auf dem Sofa saßen
Gert Fröbe und Heinz Erhardt.
Im Schrank die Bademäntel
des früheren Besitzerehepaars –
und im Regal ihre Fotoalben.“
Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart verschwimmen
„Deutschland ist schön – wir zeigen es.“
Wie geht es weiter?
Geht es weiter?
Weiter?
Es geht auf und ab;
Die Spule läuft, Der Server rattert.
Der Vorhang, der wird neu justiert.
Und staunend harren wir der Dinge.
Ein zweites Utopia Kino in Wasserburg:
Woran ist es gescheitert?
Am Geld,
immer am Geld.
Sein Traumkino sollte entstehen.
Er schreitet die Grenzen des Gebäudes ab.
Eines Kinos, imaginär.
Der Busbahnhof blieb.
Weit entfernt in 60 Metern
Bleibt er stehen. Cut.
„Unser Projektor ist der Ernemann 12“,
Doch er passt nicht komplett in den Vorführraum.
Unten im Keller steht der Spulenturm,
Hochgezogen wird der Streifen,
Und fällt auf der anderen Seite
wieder in den Keller.
Ein Loch im Boden, ein Loch in der Wand
Das Bild dazwischen auf die Leinwand gebannt.
Staubfrei wieder eingeräumt.
B-Movie Hamburg.
Der Daumenkino-Wanderer
Der aus Daumenkinos Kino macht.
Portraits. Erzählt. Geschichten einer Wanderung:
Romantik? Nostalgie? Menschlichkeit.
In der Blauen Königin in Bühl
Kam der Mann
„Wie die Jungfrau zum Kino“.
Gelernter Kfz-Meister. Spezialisiert auf Ami-Schlitten
Gibt er nun das Tante Emma-Kino.
Bis zum Ruin.
Gastronomie gleicht Verluste aus.
Doch nicht mehr lange.
Oder gar nicht mehr.
„Hallo. Hier ist das Lichtspielkino.
Wir zeigen heute
Um 15 Uhr
Dieses schöne Scheißleben.
Im spanischen Original mit deutschen Untertiteln.
Und um 16 Uhr 30: Höhere Gewalt.“
Jeder Monat ein Gesamtkunstwerk.
Früher Repertoire,
heute „Filmmuseum of the bizarre“.
Das Kassenbuch aus Nordkorea.
Noch kein Einlass!
Hier Parkett.
Die Sackkarre aus Aluminium
Bestückt mit Kopien, schweren Kisten.
Was ist Glück?
Wenn der Projektor noch rattert.
Auch wenn schon lange
Kein Filmstreifen mehr durchgelaufen ist.
Wer will, dass geraucht wird?
Abstimmung!
In zwei der Kinokneipen explizit gestattet.
Dann öffnet sich der Vorhang,
Die kristallenen Kronleuchter im Saal
Erlöschen allmählich.
Und es knistert.
Was passiert hier jetzt? Käsefondue!
Während der Film läuft? Na klar.
Im Foyer! Wie willst du es sonst machen,
wenn du kein Familienleben mehr hast.
Im Kino gewesen.
Geweint.
Gibt es ihn, den Kinomenschen?
Was zeichnet ihn aus?
Den Homo cinemaensis?
Deutschland bräuchte mehr von Euch.
Danke, lieber Philipp.
Danke, ihr lieben Kinomenschen.
Fürs Kommen. Fürs Erzählen.
Denn Ihr macht glücklich,
Bis ans Ende Eurer Tage.
(Urs Spörri auf kino-zeit.de )